Meine erste MPU: Bis zum nächsten Mal!?

Nach unserem gemeinsamen Chorwochenende fährt mich mein Tenor-Kollege freundlicherweise noch zu seiner Wohnung, wo wir dann zusammen alle 12 Erklärungen auf hochwertigen Papier ausdrucken:

Wieder zuhause angekommen, gehe ich dann erst einmal an die frische Luft. Dabei drehe ich mir eine Zigarette nach der anderen und erreiche für meine aktuelle Raucher-Studie mit über 15 Einheiten meinen persönlichen Tagesrekord.

Anschließend fühle ich mich (vielleicht wegen des Nikotins?) fast wie berauscht und ich muss meine gesamte Konzentrationsfähigkeit aufbringen, um für morgen alle meine sieben Sachen zusammenzupacken:

Am Ende schaffe ich es aber dann trotzdem irgendwie und bin anschließend mit meiner Leistung auch ganz zufrieden:

So wie mir auch meine Mutter empfohlen hat, gehe ich rechtzeitig ins Bett, um dann am nächsten Tag gut ausgeschlafen wieder mit Bus und Bahn Richtung Balingen zu fahren:

Unterwegs ruft mich meine Mitbewohnerin an und teilt mir mit, dass ich wohl etwas vergessen habe. Aus irgendeinem Grund liegen nämlich die schönen farbigen Ausdrucke immer noch auf meinem Schreibtisch. Vielleicht wieder eine Folge meines Rauch-Experiments?

Auf der Zugfahrt muss ich dann wieder an die hohen MPU-Kosten denken: In Deutschland soll es ja etwa 60.000 Fälle pro Jahr geben. Wenn also im Schnitt 50% meiner Kollegen (so wie ich) durch ihre erste Prüfung rasseln und man von 10 Verkehrspsychologenstunden ausgeht, dann kommen wir nach Adam Ries auf eine jährliche Belastung von insgesamt:

60.000 * 1,5 * 700 Euro + 10 * 90 Euro ≈ 115 Millionen Euro

Eine Menge Geld für so eine Sache, oder? Als ich dann aber im Warteraum einen Zeitungsartikel über den Ukraine-Krieg entdecke, relativiert sich das dann schon wieder:

Wenn ich richtig informiert bin, wollen unsere Politiker ja für 100.000.000.000 Euro neues Kriegsgerät einkaufen. Und weil es am Ende doch immer etwas teurer wird, gehe ich bei der folgenden Rechnung schon mal von 115 Milliarden aus.

Also wie lange könnten wir unser MPU-System mit diesem Geld wohl am Leben erhalten?

Ganze 1.000 Jahre!

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Schon verrückt, was man mit Zahlen so alles machen kann, oder?

Beim Ausfüllen des obligatorischen Fragebogens gebe auch ich mich dann mathematisch “kreativ” und formuliere beispielsweise die Trinkmenge statt in Gläsern einfach mal in Litern.

Während ich auf das psychologische Gespräch warte, sehe ich erfreut, wie der mir schon bekannte Herrn V. aus seinem Büro kommt. Ich fand den Mediziner schon beim letzten Mal wegen seiner bodenständigen Art irgendwie sympathisch. Außerdem haben wir ja noch wegen der Null-Promille-Forderung von Herrn G.-K. telefoniert. Obwohl ich versuche, mich bemerkbar zu machen, werde ich von dem Arzt aber komplett ignoriert. Irgendwie müde, fast wie eine Figur aus Zombieland schlurft er an mir vorbei in sein Untersuchungszimmer.

Dann geht es für mich zum psychologischen Test, der dieses Mal von einer Frau H. betreut wird. Nach der Begrüßung bitte ich sie darum, mir ein paar Minuten Zeit für ein kurzes Statement zu gewähren.

Ich lege die Klarsichthülle mit den Zeugnissen auf den Tisch und erkläre, dass ich damit die Singularität meiner beiden Verkehrsdelikte belegen wolle.

Dann lese ich meine eigenes Dokument vor und bitte die Psychologin darum, dieses wortwörtlich im Protokoll festzuhalten:

Danach  fasse ich die Vorgeschichte meiner drei MPUs in chronologisch umgekehrter Reihenfolge zusammen:

In der dritten Prüfung bei TÜV Süd Balingen wurde mir attestiert, dass ich auf einem guten Weg sei, aber vor einer positiven Beurteilung solle ich noch vier Forderungen erfüllen: Nämlich ein Besuch bei den Anonymen Alkoholkern, eine weitere Haaranalyse, noch mehr Sitzungen bei Verkehrspsychologen und (BTW) ein lebenslanger Verzicht auf Alkohol.

Ich erkläre Frau H., dass ich die ersten drei Punkte bereits erfüllt habe und wir über die vierte Forderung in der Folge noch sprechen müssen.

Die zweite MPU bei der IBBK Stuttgart habe ich wegen der “Dunkelzifferforschung nicht bestanden, weil diese klar belegt, dass meine Singularitäts-Hypothese in keiner Weise realistisch sein kann .

Tatsächlich habe ich für die 710,- Euro aber immerhin *eine* neue Erkenntnis mitgenommen, nämlich, das ich u.U. doch noch ein paar Restalkoholfahrten mit niedrigen Prommillewerten hatte.

In der ersten MPU bei TÜV Süd Tübingen wurde mir von Frau Dr. S.-B. mitgeteilt, dass meine Angaben zwar glaubwürdig klingen, aber bei mir einfach nicht genügend Einsicht zu erkennen sei.

Ich erkläre Frau H. dann auch den wahrscheinlichsten Grund für diese Uneinsichtigkeit: Für mich seien beide Vorfälle (IMHO) wirklich sehr spezielle Ausnahmen gewesen, was ich durch den Stapel von Zeugnissen auf dem Schreibtisch auch belegen kann.

Nach dem  einführenden Teil geht es dann wieder an die übliche Prozedur, wo der Lebenslauf und die beiden Vorfälle besprochen werden. Dabei halte ich mich peinlichst genau an das, was ich bereits Frau Dr. S.-B. bei der ersten MPU vorgetragen habe.

Mit einer Ausnahme: Dieses Mal füge ich noch eine kleine Anekdote aus meiner Zeit in der Zöschinger A-Jugend hinzu, wo ich zusammen mit fünf Fußball-Freunden eine ganz besondere “Team-(Fehl)-Leistung” vollbracht habe.

Für die Weihnachtsfeier im Dezember 89 hat uns nämlich der Vorstand den Clubhaus-Schlüssel überlassen und dazu auch noch unbegrenzten Zugang zum Getränkevorrat gewährt. Und wie es sich für gute schwäbische Jungs gehört, haben wir die günstige Gelegenheit natürlich auch gleich ordentlich ausgenutzt und in der Folge dann zusammen ganze drei Flaschen Bacardi geleert.

Damals hatte ich übrigens meinen allerersten Filmriss und bei der Aktion verlor ich ironischerweise im Wald auch noch meinen Führerschein. Der Vollständigkeit halber habe ich auch noch eine Rückrechnung für *diesen* Abend erstellt:

Obwohl es mir am Folgetag wirklich *außerordentlich* schlecht ging, werde ich die Feier trotzdem immer in guter Erinnerung behalten und ich mancher würde vielleicht  sogar behaupten, dass das Lied “Yesterday” noch nie mit solcher Hingabe gesungen wurde.

Neben diesem Vorfall berichte ich Frau H. dann natürlich auch von den bereits bekannten Geschichten: Also dem Fahrradvorfall im Studium, die wilde Tübinger Kneipenzeit und schließlich auch das Stresstrinken gegen Beziehungs- und Bauprojekt-Sorgen.

Während des ganzen Gesprächs lasse ich Frau H. immer wieder meinen angestauten MPU-Frust spüren und auch der dumme Rechenfehler von Herrn Dr. G.-K. bleibt natürlich auch nicht unerwähnt.

Außerdem erkläre ich, dass ich die 11 Psychologenstunden weitgehend als Zeit- und Geldverschwendung empfunden habe.

Schließlich lasse ich noch durchblicken, dass ich mir durchaus noch eine juristische Auseinandersetzung vorstellen könne, wenn es wirklich nicht anders geht.

Frau H. beleibt trotz meines energischen Auftretens erstaunlich professionell. Nur ein einziges Mal wird sie wirklich ärgerlich, nämlich als ich sie im Affekt fälschlicherweise als Frau G.-K. bezeichne.

Weil mir klar ist, dass mir diese offensive Strategie auch zum Nachteil gereichen kann, spreche ich zur Sicherheit noch ein bekanntes psychologisches Phänomen an:

Menschen, die zu etwas gezwungen werden, reagieren oft mit Gegenwehr und je höher der Druck wird, desto größer wird der Widerstand.

Und Herr V. hatte mir ja letztens versichert, dass selbst Psychologen in dieser Hinsicht auch nur Menschen seien.

Ach ja und übrigens, wahrscheinlich ich selbst auch: Auf die Frage, warum ich denn darauf bestehen würde, weiterhin Alkohol trinken zu dürfen, antworte ich wahrheitsgemäß, dass mir u.A. meine Freiheit sehr wichtig sei und ich mich nur sehr ungern zu etwas zwingen lasse.

Im Anschluss erzähle ich ihr noch kurz von einer neuen Idee für das deutsche Verkehrswesen mit Arbeitstitel 90:90 und dann stelle ich der standhaften Frau schließlich noch die Gretchenfrage:

Ich habe Ihnen heute exakt das Gleiche berichtet, wie bereits Ihrer Kollegin Dr. S.-B. bei der ersten MPU. Wenn ich also dieses Mal bestehen sollte, würde das dann nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass das erste Gutachten fehlerhaft war?

Schließlich halte noch mein Abschlussplädoyer, wo ich an das Verantwortungsbewusstsein von Frau H. appelliere:

Ich plane in naher Zukunft beruflich längere Fahrten, bei denen ich auch einiges an Ausrüstung transportieren muss, was ohne Auto nur mit Mühe und Aufwand zu realisieren ist.

Außerdem überlege ich immer noch, mein Bauprojekt im Hunsrück abzuschließen und weil der Ort doch recht abgelegen liegt, wäre hier ein Auto von sehr großem Vorteil.

Schließlich will meine Mitbewohnerin unbedingt aus Tübingen wegziehen und krankheitsbedingt ist sie dabei auf mein Auto angewiesen. Durch die bisherigen Entscheidungen der MPU-Experten wurde bereits letztes Jahr eine mögliche Abfahrt in ihre Heimat verhindert.

Nachdem Frau H. meine Schlussworte aufgeschrieben hat, fordert sie mich zum Abschied noch auf, meine 12 Zeugnisse wieder mitzunehmen, denn aktuell würde sie diese sowieso nicht berücksichtigen.

Von dem vielen Reden bin ich nun doch etwas erschöpft und eine der beiden Sekretärinnen fragt mich, ob ich vor dem Leistungstest vielleicht noch eine kleine Pause machen wolle.

Dieses Angebot nehme ich gerne in Anspruch und gehe erst Mal an die frische Luft zum Rauchen. Anschließend stärke ich mich im nahegelegenen “B2” mit Apfelsaftschorle, leckerem Kaffee und einer Brezel.

Ich wundere mich noch, dass das schwäbische Gebäck in Balingen jetzt bereits 1,15 Euro kostet.

Das klingt erst mal sehr teuer, aber …

... wieviele Brezeln könnten wir wohl mit den MPU-Euros kaufen?

Exakt 100 Millionen Brezeln!

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Wow, das klingt ja toll, aber für jeden deutschem Staatsbürger wäre das leider nur eine einzige Brezel.

Wenn ich allerdings meine persönlichen MPU-Kosten von nun bald 6.000 Euro anschaue, könnte ich damit immerhin 5.000 Brezeln finanzieren, oder vielleicht auch ein sehr exklusives Event mit meiner Freundin:

Aber wieder zurück zum eigentlichen Thema: Nach dem Leistungstest, den ich schon fast routinemäßig abarbeite, geht es dann zur medizinischen Untersuchung, wo mich wieder Herr V. empfängt: Wie schon von mir angedeutet, scheint er heute nicht seinen allerbesten Tag zu haben.

Aber weil er mir gleich verrät, dass er parallel noch eine zweite Praxis betreuen müsse, habe ich zunächst auch etwas Verständnis für seinen offensichtlich überarbeiteten Zustand. Ich habe ja auch schon gehört, dass wir einfach zu wenig Ärzte im Land haben.

Nachdem er mich dann aber gleich zweimal nach Größe und Gewicht fragt und offensichtlich auch vergessen hat, dass die erste Alkoholfahrt nicht mit dem Auto, sondern dem Fahrrad absolviert wurde, mache ich ihm klar, dass ich für meine 700,- Euro auch eine gewisse Leistung erwarte und er hier nicht meine Lebenszeit verschwenden solle.

Dann besprechen wir den Rechenfehler von Herrn Dr. G.-K.: Herr V. meint, dass sein Kollege eigentlich sonst immer sehr exakt rechnen würde. Aber als er dann die Zahlen in *sein* Programm eingibt, kommt auch er ungefähr auf meine 6 Bier, na also!

Und das obwohl Herr V. vorher sogar noch ganz im Ernst angedeutet hatte, dass vielleicht sogar *meine* Rechnung nicht ganz richtig sein könnte. Man solle nämlich gerade *nicht* die Widmark-Formel verwenden und müsse auf alle Fälle noch den sogenannten Resorptionsfaktor berücksichtigen, so, so!

Weil mich dieses lehrerhafte Verhalten irgendwie stört, erkläre ich ihm auf dem Weg zur Blutabnahme als Retourkutsche, dass man als Arzt in so einem erschöpften Zustand ja vielleicht *auch*den ein oder anderen Fehler machen könnte.

Dies scheint nun wiederum Herrn V. verärgert zu haben, denn er baut sich in voller Größe drohend vor mir auf. Davon lasse ich mich aber nicht einschüchtern und gehe wie Sylvester Stallone in seinen besten Zeiten furchtlos auf ihn zu. Zu allem bereit, blicke ich in seine weit aufgerissenen Augen.

Das Schauspiel dauert nur wenige Sekunden und dann meint Herr V. besänftigend: Legen Sie sich doch einfach auf die Liege, Herr Holzheu!

Nach dieser interessanten Begegnung verabschiede ich mich bei den Sekretärinnen dann mit den Worten …

Bis zum nächsten Mal!?

Michael Holzheu

PS: Hier wieder die Änderungen an der Geschichte auf GitHub

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